Heike mit Kalle

 

 

Wir haben uns Kalle bei einer Tierschutzorganisation ausgesucht. Er wurde im Alter von 2 Monaten nach Deutschland gebracht und zog dann 2014 im Alter von 5 Monaten in unsere Familie als Zweithund ein.

 

Kalle ist ein kleiner, bezaubernder, temperamentvoller Mischling aus Griechenland, der gern tobte, spielte, den Feinschliff in der Hundeschule erlernte, mit Begeisterung Agility trainierte, Frisbee spielte und sich bestens mit unserem Ersthund Rossi verstand.

 

Bei einem Dänemark Urlaub im Februar 2016 zeigte Kalle plötzlich merkwürdige Verhaltensauffälligkeiten, die so gar nicht in seiner Natur lagen. Er wollte zum Beispiel nicht mehr gern spazieren gehen, schlief viel, lag oft einfach nur teilnahmslos in seinem Körbchen und zitterte in der warmen Kaminstube. Das gab mir zu denken.

 

Als wir wieder zu Hause waren, suchte ich eine Physiotherapeutin auf, da ich eine Schmerzsymptomatik vermutete, die ihn nicht mehr so agil sein ließ.

Die Untersuchung brachte kein Ergebnis. Ein paar Tage später, Kalle hatte sich augenscheinlich in seinem gewohnten Zuhause wieder erholt, machten wir einen Spaziergang durch den frisch gefallenen Schnee. Mein Kalle hatte natürlich einen Mantel bekommen, da er ja in Dänemark so oft zitterte und ich dies als frieren interpretierte. Auf besagtem Spaziergang wollte Kalle plötzlich nicht mehr laufen, zitterte wieder ganz fürchterlich und war mit keinem Leckerli zum Weiterlaufen zu überreden. Kurzerhand trugen wir ihn den Rest des Weges nachhause.

Am nächsten Tag fuhr ich mit ihm in meine Tierarztpraxis und bat deutlich beunruhigt um eine Untersuchung und Blutabnahme. Auch die Tierärztin konnte objektiv keine Diagnose stellen, es schien körperlich alles in Ordnung zu sein. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag telefonisch, um die Laborwerte zu besprechen.

Gegen Mittag des Folgetages rief mich die Tierärztin auf meiner Arbeit an und drängte darauf, so schnell wie möglich mit Kalle in die Praxis zu kommen, es wäre etwas Dramatisches im Labor nachgewiesen worden. In diesem Moment lief es mir eiskalt den Rücken runter, mir wurde schwindelig und ich konnte nicht mehr klar denken, zog mich um und fuhr sofort Richtung Heimat. Auf dem Weg rief ich parallel meine beste Freundin an und schilderte ihr das Chaos, welches gerade meine Welt aus den Angeln hob. Ich musste schrecklich weinen, ich wusste nicht, was gerade passierte. Wie schlimm war mein Hund krank? Es waren furchtbare Minuten. Meine Freundin holte, um keine Zeit zu verlieren, meinen Kalle und wir trafen uns in der Tierarztpraxis. Ich war so froh, dass sie bei mir war. Zumal ich, von dem was jetzt folgte, nur die Hälfte begriff. In meinem Kopf schwirrten Begriffe wie Kaliumerhöhung, Nebennierenrindeninsuffizienz, Cortisol, sofortige Therapieeinleitung, lebensbedrohliche Addisonkrise und Tod.

Nun begannen zunächst eine Infusionstherapie, die hoch dosierte Kortisongabe, wöchentliche Elektrolythe- und Nierenwertekontrollen und Einleitung der Therapie mit Florinef Tabletten. Kalle schlug prima darauf an.

Über die Tragweite der Krankheit wurde ich mir bewusst, als die Tierärztin sagte, dass alle Aufregungen, Spaß, Spiel und toben nun passé wären.

Zu gute kommt uns, dass wir so schnell die Diagnose ermitteln konnten. Die Ärztin sagte mir, der Labormitarbeiter, mit dem sie auch lang und ausführlich über die Addisonkrankheit gesprochen hatte, sagte, Kalle hätte das Addison-Lehrbuch gelesen, denn seine Symptome seien so eindeutig.

 

Ich informierte die Tierschutzorganisation über Kalles Krankheit, da diese durchaus vererbbar ist. Die Besitzer von Kalles Mutter sowie der 2 Geschwister wurden umgehend auf Morbus Addison getestet. Gott sei Dank trat es bei keinem auf.

Die Besitzerin von Kalles Schwester informierte sich ausführlich über Therapiemöglichkeiten und fand einen Ulmer Tierarzt, der anstatt Florinef ein Medikament namens Zycortal empfahl. Hier handelt es sich um Subcutanspritzen, welche besser verträglich sind und auch sonst einige Vorteile gegenüber den unzähligen Florinef Tabletten hat, welche Kalle sonst hätte täglich nehmen müssen.

Nun folgte einige Monate später ein zweiwöchiger Dänemark Urlaub, in dessen Vorbereitung ich schon mulmige Gefühle hatte.

Wie wird das mit der Aufregung? Denkst du jeden Tag an die Kortison Tabletten? Was passiert, wenn es Kalle schlechter geht? Sollten wir wirklich fahren? Ich hatte kein gutes Gefühl.

Die Reise ging los und ich versuchte, optimistisch zu sein, ruhig zu bleiben und die Hunde meine Unsicherheit nicht merken zu lassen.

Letztendlich baute Kalle im Verlauf der ersten Woche von Tag zu Tag ab, die Aktivität nahm ab, er lag viel rum, zum Schluss so teilnahmslos, dass er nicht mal mehr den Kopf hob, wenn jemand ins Zimmer kam. Ich telefonierte in der Woche wahrscheinlich mehr mit der Tierärztin, als dass ich mit meinem Mann sprach. Alles drehte sich nur noch um Kalles Zustand, bis wir letztendlich entschieden, den Urlaub anzubrechen und direkt in die Praxis zu fahren.

Dort war Kalle nur noch ein Schatten seiner selbst, es wurde sofort infundiert, er bekam Kortison gespritzt und Blutkontrollen, er ließ alles über sich ergehen, ich saß immer an seiner Seite.

Dann sprachen wir die nächsten Tage ab: jeden Tag Infusionen, 1x morgens, 1x abends, jeden Tag mit dem Auto zweimal in die Praxis fahren, und mit jedem Tag ging es Kalle schlechter, wir saßen bis zum Hals in dieser Addisonkrise fest.

Dann entschieden die Tierärztin und ich, Kalle zuhause zu infundieren. Kurzerhand wurde unser Foto-Stativ als Infusionsständer umgebaut, ein bequemes Bett mit Inkontinenzbezug (denn oft schaffte er es nicht, den Urin zu halten, oder ich kleckerte mit der Infusionslösung). Der Zugang wurde alle 2-3 Tage per Hausbesuch durch die Tierärztin erneuert. Ich legte präzise genau 2 mal täglich die Infusionen an und verbrachte meine Tage und Nächte neben meinem Hund.

 

 

 

Wir stellten die Türklingel ab, kein Besuch von Freunden, kein Postbote. Dieser Zustand hielt sich hartnäckig über 2 Wochen. Letztlich überlegten wir mit der Tierärztin, ob es nicht besser wäre, ihn in den nächsten Tagen einzuschläfern, wenn er weiterhin keine Lebenskraft zeigt. Auch sind seine inneren Organe sicher deutlich in Mitleidenschaft gezogen worden, so dass wir unbedingt ein Organversagen vermeiden wollten.

Dann, ganz langsam kämpfte sich Kalle wieder zurück, es fing an mit so banalen, aber für mich bedeutenden Dingen, wie die Ohren aufstellen, wenn man ihn ansprach, am nächsten Tag wackelte dann schon bereits wieder sein kleines Schwänzchen, am Tag darauf kam ein kleines leises Bellen aus seiner Schnauze, ich war überglücklich. Er lief selbstständig in den Garten. Wir schienen die Krise bewältigt zu haben.

Irgendwann musste ich aber auch wieder arbeiten gehen. Wir teilten unseren Hof in 2 Sektoren, so dass Kalle und Rossi die Zeit meiner Abwesenheit auf unserem Innenhof verbringen konnten, ohne dass sie Zugang zum Garten und somit zu vorbeifahrenden Radfahrern oder anderen Hunden, die vorbeispazierten, hatten. Denn es musste jegliche Aufregung vermieden werden. Mir war zwar jeden Morgen mulmig und ich hoffte täglich, abends meinen kranken Hund noch lebend wiederzufinden.

 

Aber es funktionierte!

 

Wir fuhren dann ein Jahr nicht in den Urlaub, um Kalles Gesundheit wieder zu stärken und die Therapie wirken zu lassen. Kalle entwickelte sich wieder prächtig.

 

In diesem Mai sind wir das erste Mal wieder für eine Woche nach Dänemark gefahren und konnten es alle 4 mit langen Strandspaziergängen, rennen durch die Dünen und Fremdhundekontakt genießen.

Kalle bekommt 2 x täglich eine homöopathische Kortisondosis von 0,25 mg, sowie alle 35 Tage seine Zycortalspritze.

Sollte ein Urlaub anstehen, gehen wir mit dem Kortison um ein vielfaches hoch auf 10 mg tgl., bei der letzten Reise hat er zusätzlich noch ein gut verträgliches Antibiotikum bekommen, um allen Infektionsmöglichkeiten aus dem Weg zu gehen.

Für Kalle und uns ist nun wieder ein normaler Alltag eingekehrt, in dem ab und zu auch wieder mit Begeisterung über eine Agilityhürde gesprungen werden kann. Sicher gibt es immer noch Situationen, in denen man bangt und hofft, dass er alles gut verarbeitet und toleriert, aber die Zukunft wird es bringen.

 

Ich weiß, dass mein Kalle nicht die besten Lebenserwartungen hat, da seine Organe in dieser doch recht lang anhaltenden Addisonkrise sicher Schaden genommen haben, aber wir machen das Beste daraus… 

 

Kalle und Familie